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Wasser
Wir wollen nach Finnland. Sieben Freunde sind wir, drei sitzen in Pirna, bei ihnen im Hof ein Meter und 20 Zentimeter Wasser, noch lachen sie ein wenig, aber nach Dresden kommen sie nicht. Wir wollen zum Hauptbahnhof, halb zehn geht unser Zug, doch da nur ein See, man sagt, ab Dresden-Neustadt fährt noch was. Wir radeln an der Semperoper vorbei, Menschenmassen auf den Brücken, die gute alte Elbe nicht wiederzuerkennen. Überall ist Stau, Hubschraubergedröhn, Feuerwehren, Polizei, Notarzt,...

... in 10 Minuten 23 verschieden Sirenen, dann hören wir auf zu zählen. Am Bahnhof Neustadt angekommen sehen wir hunderte Menschen an jeder Information, nun fährt da auch nichts mehr, man verweist uns nach Coswig, da geht°s sicher weiter. Wir radeln durch den Regen nach Coswig, eine Stunde, zwei Stunden, doch auch dort auf einmal nur noch Endstation, das Gleisbett unterspült, man sagt uns, einen Fahrplan gibt es nicht mehr zwischen Dresden und Leipzig und Berlin. Die Fähre nach Finnland reist ohne uns ab, wir besuchen meine Eltern in Pirna, mal sehen, was die Elbe dort so macht. Normalerweise wohnen sie zehn Meter über der Elbe, heute sind es noch acht. Strom haben sie seit einem Tag nicht mehr, warmes Wasser also auch nicht, es gibt Kaffe vom Gaskocher des Nachbarn. Batterien für das Radio haben wir genug, halbstündlich hören wir Nachrichten doch keiner kann sagen, wie hoch das Wasser steigen wird, "es liegen keinerlei Erfahrungswerte vor". Um sechs kommt die Polizei, wir müssen das Haus verlassen, das Wasser würde "bis morgen früh in unbestimmte Höhe steigen", wir finden Unterkunft bei Freunden, dass wir dort die nächsten fünf Nächte bleiben werden, ahnt keiner. Am nächsten Morgen kommen wir zurück zum Haus meiner Eltern, das Wasser ist gestiegen, aber nur einen Meter, also vielleicht doch alles nicht so schlimm. Wir räumen trotzdem alles Wichtige aus der Wohnung, eine Etage höher, anfangs wissen wir nicht, was wichtig ist oder was man notfalls verlieren könnte. Wir messen stündlich den Elbepegel, stündlich fünf Zentimeter mehr. Gegen Mittag ist alles, was wir nach oben bringen konnten, erledigt. Wir grillen die letzten Würstchen aus der längst abgetauten Gefriertruhe, trinken Sekt, laden die Polizisten aus Görlitz zu einer Bratwurst ein. Im Radio werden immer neue Prognosen ausgegeben, es wird von losgerissenen Frachtschiffen berichtet, sie werden gesprengt, ein Mensch stirbt dabei. Die Elbe steigt, langsam, unaufhörlich, die Garage verschwindet, der Keller läuft voll, was soll man da nur machen. Ich versuche, Freunde zu erreichen, die Telefonnetze funktionieren nur manchmal, Gespräche brechen zusammen, hin und wieder findet man jemanden, wenigstens etwas positives. Bekannte haben zwölf Flutopfer in ihrer Wohnung aufgenommen, an Finnland haben wir lang nicht mehr gedacht. Der Freitag ähnelt dem Donnerstag, doch jetzt fehlen nur noch 120 Zentimeter bis zur Wohnung meiner Eltern, wieder kommen Ideen, was man noch retten könnte, wir gehen ins Haus, die Polizei holt uns bald wieder raus, der Hang hinterm Haus droht abzurutschen. Nach Dresden in meine Wohnung kommt man nicht mehr, alle Elbbrücken sind gesperrt, nur noch eine für Fußgänger geöffnet, doch auch Straßenbahnen und Busse fahren nicht mehr oder nur noch auf Strecken, die keiner kennt. Wir wollen einkaufen, in manchen Geschäften gibt es kein Brot, kein Obst, keine Kartoffeln, in anderen Supermärkten stapeln sich alle Grundnahrungsmittel tonnenweise, dafür steht man, wenn man das Geschäft betritt, auch schon in der Schlange an der Kasse an, Wartezeit ca. zwei Stunden. Am Samstag morgen endlich ein Lichtblick: das Wasser sinkt. 15 Zentimeter bis zur Wohnung meiner Eltern haben gefehlt. Langsam räumen wir wieder was in die Wohnung, wieder helfen Nachbarn, doch auch nach Stunden ist das Wasser nur zwei weitere Zentimeter gesunken, wie der Garten aussieht, weiß keiner. Am Sonntag dann ist das Wasser noch zwei Meter gesunken, doch überall, wo es war, ist Schlamm, Dreck, Müll. Es stinkt nach Fäkalien, nach Öl, nach Chemikalien, wir räumen das Gröbste weg, die Dämpfe machen ganz benommen. Ich helfe im Nachbarhaus bei einer Familie, deren Wohnung einen Meter und mehr unter Wasser stand, außer weniger Bücher und etwas Geschirr ist alles Schrott, alle Möbel aufgeweicht. Noch ist etwas Galgenhumor zu hören. Auf der Strasse pumpen Feuerwehren Keller aus, überall Schlamm, riesige Haufen Sperrmüll, man muss Slalom fahren. Die ganze Altstadt in Pirna ist Schrott, überall Müll, überall mindestens das Erdgeschoss überflutet, kein Geschäft mehr, keine Kneipe, dafür Müll, Müll und Gestank, an der eine Ecke nach Waschmittel aus dem Drogeriemarkt, an der nächsten nach Tee aus dem Teegeschäft, an manchen Stellen ist die Strasse weggespült, vor dem Buchladen stapeln sich Massen durchnässter Bücher. Überall räumen Menschen Gerümpel und Schlamm hin und her, viele haben alles verloren, noch haben sie Arbeit, doch was kommt dann, wenn alles leergeräumt ist? Von Freunden hören wir aus Bad Schandau, aus Weesenstein, dort sieht es noch schlimmer aus. Ich kann wieder nach Dresden, in meine Wohnung, wieder Strom, warmes Wasser, ein eigenes Bett und nach fünf Tagen neue Sachen anziehen, die Sachen, die noch in den Fahrradtaschen für Finnland liegen.


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